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Personen und Handlungen dieser Erzählung
sind frei erfunden.

eISBN 978-3-649-63645-8

© 2020 Coppenrath Verlag GmbH & Co. KG,

Hafenweg 30, 48155 Münster

Alle Rechte vorbehalten, auch auszugsweise

Text: Fabian Lenk

Illustrationen: Thilo Krapp

Lektorat: Rainer Schöttle

Satz: Sabine Conrad, Bad Nauheim

www.coppenrath.de

Das Buch erscheint unter der ISBN 978-3-649-63089-0.

Fabian Lenk

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Mit Illustrationen von Thilo Krapp

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INHALT

DER EINBRUCH

DER VULKAN BRICHT AUS

VORBEREITUNGEN

EIN ZÄHER KAMPF

DIE ZEUGEN

SCHOCK ZUR MITTAGSSTUNDE

EIN MANN WIRD VERDÄCHTIG

UNTER DECK

DIE ZWEITE SPUR

NOTTING HILL, 23 UHR

FINALE!

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DER EINBRUCH

Raya sprang auf. »Spiel doch ab!«, rief sie.

Auch ihre Freunde Alex, Nelli und Paco schossen hoch. Jetzt flankte der Flügelflitzer der englischen Nationalmannschaft.

»Was für eine Banane!«, staunte Paco angesichts der Flugkurve des Balles. Der segelte in den Sechzehner der Franzosen, der englische Mittelstürmer tankte sich durch die Abwehrspieler, hob ab und erwischte die Murmel mit dem Kopf. Doch der Ball flog ganz knapp über die Latte ins Aus.

Kollektives Aufstöhnen unter den englischen Fans, riesige Erleichterung bei all denen, die den Franzosen die Daumen drückten.

Es ging schließlich um so viel! Die beiden Mannschaften standen sich an diesem Dienstag im Halbfinale der Europameisterschaft gegenüber – und das berühmte Wembley-Stadion in London kochte regelrecht. Neunzigtausend Zuschauer füllten die imposante Arena, die im Jahr 2007 für 1,2 Milliarden Euro neu errichtet worden war und von einem 133 Meter hohen Bogen überspannt wurde.

Zahllose Polizisten waren ebenso im Stadion, weil man Zoff zwischen Hooligans befürchtete. Auch außerhalb der Arena im Londoner Stadtbezirk Brent war ein Großaufgebot im Einsatz, das diejenigen Fans im Auge behielt, die keine Tickets mehr bekommen hatten und sich mit Public Viewing oder einem Fernseher in einem der unzähligen Londoner Pubs begnügen mussten.

»Ein wenig tiefer, und der Ball wäre drin gewesen«, kommentierte Alex den Kopfball des Engländers. »An dieses Geschoss wäre der Torwart nie rangekommen.«

Alex musste es wissen. Der Zwölfjährige galt als einer der besten Nachwuchstorhüter Deutschlands. Auch der begabte Stürmer Paco, die knallharte Abwehrspezialistin Nelli und die trickreiche Raya waren solche Talente. Die Mannschaft, zu der die Jungen gehörten, wurde von Pacos Vater Bob Heffner gecoacht, der neben den Freunden stand. Bobs Spitzname lautete Vulkan, weil er schon mal herrlich ausflippen konnte, wenn seiner Mannschaft ein Unrecht geschah – zum Beispiel durch ein böses Foul des Gegners oder eine Schiedsrichterfehlentscheidung. Doch gerade war der Vulkan friedlich. Bob stand ganz ruhig neben den Kids und schaute mit ihnen das Spiel an.

Nelli, Raya, Paco und Alex waren total happy, dieses große Duell live erleben zu dürfen: Frankreich, der Europameister von 1984 und 2000, kickte gegen England. Die Briten hatten den EM-Titel zwar noch nie holen können. Aber sie zählten derzeit zu den stärksten Mannschaften Europas und waren für viele Fachleute der Geheimfavorit für den EM-Titel. Dieses Match war also ein echter Knaller!

Dank Trainer Bob, der beste Kontakte zum DFB und zur UEFA hatte, konnten die Freunde das Halbfinale live anschauen.

Mehr ging nicht!

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»Cooler Pass!«, rief Alex jetzt. Der Keeper der Franzosen hatte den Ball nicht blind nach vorn gedroschen, sondern das Spiel elegant mit einem genauen Pass auf den linken Flügel eröffnet. Ebenso elegant nahm der dort platzierte Mittelfeldspieler die Kugel an.

»Ja«, stimmte Bob ihm zu. »So musst du das auch machen, Alex. Kontrollierter, schneller Aufbau!«

»Klar, Trainer«, sagte der junge Torwart.

In diesem Moment fegte jedoch ein englischer Abwehrspieler heran und räumte den eleganten Franzosen samt Ball kompromisslos ab.

Nelli pfiff anerkennend durch die Zähne. »Monstergrätsche!«

Da der Engländer zuerst den Ball gespielt hatte, ließ der Schiri die Aktion durchgehen. Nun hatten die Briten den Ball und trieben ihn wieder nach vorn. Ihre Fans, die klar in der Überzahl waren, feuerten sie unermüdlich an. Wer heute hier gewann, der stand am Sonntag im Finale der Europameisterschaft.

Gegen wen? Das war noch die große Frage. Das zweite Halbfinalspiel fand erst morgen statt. Dort standen sich Portugal, der Sieger von 2016, und Deutschland gegenüber, das schon dreimal den EM-Titel geholt hatte: 1972, 1980 und zuletzt 1996.

Die Engländer gaben weiter alles und berannten das gegnerische Tor, während sich die Franzosen auf gelegentliche, aber äußerst gefährliche Konter beschränkten.

Vor der Pause fielen jedoch keine Treffer. Mit einem 0 : 0 gingen die Spieler vom Feld.

Bob organisierte etwas zu trinken und Würstchen für die Eurokicker und sich. Er und die Jugendkicker fachsimpelten über die erste Halbzeit, die trotz der fehlenden Tore sehr spannend gewesen war.

Fünfzehn Minuten später pfiff der Schiri die zweite Halbzeit an. Der Ball rollte wieder im legendären Wembley-Stadion.

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Etwa eine Stunde nach dem Ende der Partie fuhr ein Kleinlaster in gemächlichem Tempo durch eine Straße im noblen Londoner Stadtteil Kensington. Am Steuer saß ein Mann, der eine Cap trug, die ihn als Fan der deutschen Nationalmannschaft auswies. Auch die beiden Männer neben ihm hatten solche Caps auf. Hinter den Sitzen lagen Maschinenpistolen. Für alle Fälle.

Aus den Boxen war die Stimme eines Fußballreporters zu hören, der das Spiel England gegen Frankreich Revue passieren ließ. Die Engländer hatten mit 1 : 0 gewonnen

Doch die drei Männer hörten kaum hin. Vor allem der Fahrer hatte gerade andere Sorgen. Seine Hände krampften sich um das Lenkrad, als ihr Ziel zu sehen war: ein Juweliergeschäft, in dem die High Society ein und aus ging. Die Reichen und Superreichen. Auch die britischen Thronfolger gehörten laut der Klatschpresse zu den Kunden des Hauses. Um diese Zeit, es war schon fast Mitternacht, hatte das Geschäft längst geschlossen.

Noch hundert Meter. Der Wagen stoppte, und die Gangster zogen Sturmhauben über, die nur ihre Augen frei ließen. Der Fahrer machte das Radio aus.

»Gib endlich Gas«, zischte der Mann neben ihm. Er war der Boss.

Der Fahrer gehorchte und trat das Pedal bis zum Anschlag durch. Der Turbodiesel ließ den Kleinlaster rasch beschleunigen.

Noch achtzig Meter, sechzig, fünfzig …

Die Scheibe des Juweliergeschäfts, hinter der Ringe, Broschen, Ketten und Uhren im Wert von mehr als einer Million Euro auslagen, wurde immer größer.

Die Fingerknöchel des Fahrers waren weiß, so fest hatte er das Lenkrad gepackt. Er schwitzte heftig unter der eng anliegenden Haube.

Dreißig Meter, zwanzig.

Das Ziel flog förmlich auf die Täter zu. Jetzt donnerte der Transporter auf den Bürgersteig, fegte einen Reklameständer weg und schoss eine Mülltonne zur Seite, die in einen am Straßenrand geparkten Jaguar knallte.

Dann kam er, der Aufprall: Ungebremst krachte der Kleinlaster in das Schaufenster des Juweliers. Die drei Männer wurden nach vorn gerissen, die Gurte schnürten schmerzhaft in die Brust.

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Die massive Scheibe zerplatzte, feinste Splitter flogen und eine Alarmanlage jaulte los. Der Wagen stand halb im Laden.

Während der Fahrer den Rückwärtsgang einlegte und den Transporter durch die Trümmer zurück auf die Straße bugsierte, sprangen seine Komplizen heraus. Sie schlugen mit Brecheisen auf die gläsernen Vitrinen ein und räumten die Auslagen leer. Dabei gingen sie mit Kennerblick vor – nur die wertvollsten Dinge wanderten in die mitgebrachten Plastiktaschen, die Werbung für eine deutsche Supermarktkette machten. Die beiden Räuber wurden von mehreren Überwachungskameras gefilmt.

Derweil wartete der Fahrer bei laufendem Motor mit jagendem Puls. Er sah den flackernden Schein der roten Alarmleuchte vor dem Geschäft, hörte diesen extrem lauten jaulenden Ton, der ganz Kensington alarmieren musste. Schon ging eine Tür auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf. Eine Frau hatte ein Handy am Ohr und rief gerade garantiert die Polizei an.

Beeilt euch!, flehte der Fahrer seine Komplizen in Gedanken an.

Durch die zerstörte Scheibe sah er, wie die beiden weiter in größter Hast die Schätze zusammenklaubten. Nach nicht einmal neunzig Sekunden waren sie wieder im Wagen.

»Los, los, los!«, schrie der Boss den Fahrer an, obwohl die Beifahrertür noch offen stand.

Wieder gab der Fahrer Vollgas und trieb den Transporter die Straße hinunter. Mit quietschenden Reifen bog er in die Bayswater Road ab. Dort riss er sich mit einer Hand die Haube vom Gesicht. Die anderen Gangster folgten seinem Beispiel.

An der nächsten U-Bahn-Station, der Queensway Station am Kensington Park, stoppten sie. Beute, Maschinenpistolen, Sturmhauben und Caps wanderten in drei Sportaschen, von denen jeder der Täter eine an sich nahm.

Dann sprangen die Räuber aus dem Wagen, den sie heute Nachmittag gestohlen hatten, und liefen jeder in eine andere Richtung.