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eISBN 978-3-649-63248-1

Lucie May

Fritzi Pferdeglück

Die schönsten Reiterabenteuer

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Mit Illustrationen von Dagmar Henze

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Inhalt

Fritzi Pferdeglück: Die schönsten Reiterabenteuer

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

Die Eagle-Free-Ranch

Fritzi Pferdeglück: Rettung für das Araber-Gestüt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

Das Gestüt der Familie Caspari

Fritzi Pferdeglück: Der große Preis vom Heidehof

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

Den Heidehof gibt es (fast) wirklich!

Lucie May

Fritzi Pferdeglück

Das Fohlen von der Westernranch

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Mit Illustrationen von Dagmar Henze

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1. Kapitel

„Herzlichen Glückwunsch, Friederike.“ Herr Gustel grinste. Fast freundlich. Und ich schöpfte ein wenig Hoffnung. Sollte mir das Wunder gelungen sein?

„Du hast dich gesteigert.“

„Echt?“, hauchte ich.

„Von vier auf fünf! Ich bin begeistert.“ Damit knallte er mir meine Mathearbeit auf den Tisch. „Weniger Hottehüs im Kopf, dafür öfter mal das logische Denken trainieren. Sonst sehe ich schwarz für deine Versetzung in die fünfte Klasse!“

Im nächsten Moment klingelte es. In Windeseile packte ich meine Sachen zusammen und meine Freundin Janne flüsterte mir zu: „Zum Glück müssen wir den blöden Anzugaffen die nächsten drei Wochen nicht ertragen.“

„Was der Gustel wohl macht, wenn er keine Schüler quälen kann?!“, murmelte ich zurück.

Janne kicherte. „Bestimmt nutzt er die Zeit, um sich neue Gemeinheiten auszudenken.“

Garantiert! Herr Gustel-Lindemann war nämlich der gruseligste Lehrer, den man sich vorstellen konnte.

Zu Hause erwartete mich dann der nächste Knaller des Tages. Mama stand in der geöffneten Haustür und blickte mich irgendwie komisch an, als ich mein Rad abstellte.

„Fritzi, ich muss dir etwas sagen.“

Ich ahnte, was los war, und winkte lässig ab. „Macht nichts, Mama. Ich habe ohnehin nicht damit gerechnet, dass du mich heute zum Reiten fahren kannst. Dann nehme ich halt das Rad – wie immer“, erklärte ich, während ich vor ihr in die Küche stiefelte.

Natürlich konnte ich keine Gedanken lesen. Aber da Mama mich fast nie zum Reiten fahren konnte, obwohl sie es jeden Donnerstagmorgen versprach, wusste ich schon, was sie mir sagen wollte.

Mama hatte immer unheimlich viel zu tun. Und Papa sowieso. Als ob es nur einen Zahnarzt in dieser Stadt gäbe, regte Mama sich jedes Mal auf, wenn er abends spät aus der Praxis kam. Dabei war sie genauso beschäftigt. Nur fand sie, dass das bei ihr nur halb so schlimm wäre, weil sie als freie Redakteurin meistens von zu Hause aus arbeitete. Mal abgesehen von ein paar Geschäftsreisen.

Na ja, ich hatte mich längst damit abgefunden, dass meine Eltern ständig zu tun hatten. So was hatte auch Vorteile. Zum Beispiel bekam ich wegen der Fünf in Mathe garantiert kaum Ärger. Mama hatte dann nämlich gleich voll das schlechte Gewissen, weil sie mir so selten helfen konnte und ich deshalb dieses blöde, blöde Mathe nicht kapierte.

„Darum geht es nicht, Fritzi. Es ist etwas anderes“, hörte ich Mama zu meiner Überraschung sagen.

Ich ließ mich auf einen der weißen Küchenstühle plumpsen. „Und das wäre?“

„Ach Mäuschen …“ Mit einem tiefen Seufzer setzte Mama sich mir gegenüber hin. „Es tut mir so leid.“ Der Ausdruck in ihrem Gesicht sah tatsächlich nach Leidtun aus.

„Jetzt red schon“, sagte ich misstrauisch.

Sie streckte die Hand nach meiner aus und strich sanft mit dem Zeigefinger darüber. „Ich muss nächste Woche geschäftlich verreisen.“

„Du bist aber am Freitag wieder zurück?!“

Wortlos schüttelte sie den Kopf.

„Also fahren Papa und ich allein nach Föhr auf den Grevelinghof?“ Ich musste schwer schlucken. „Oder kommst du nach?“

Erneutes Kopfschütteln.

Na super. Aber das war ja nicht das erste Mal, dass ich nur mit einem Elternteil in den Urlaub fuhr, weil dem anderen in allerletzter Sekunde was gaaanz Dringendes dazwischengekommen war. Allerdings hatten sie es mir dieses Mal wirklich hoch und heilig versprochen.

Großes Familienehrenwort, hatte Papa gesagt, diese Ferien verbringen wir zu dritt.

Pah, von wegen!

„Wie immer“, murmelte ich und versuchte, mir die Enttäuschung nicht allzu sehr anmerken zu lassen. „Dann eben nur Papa und ich.“

Zum dritten Mal schüttelte Mama den Kopf. „Leider musste ich den Urlaub ganz stornieren“, sagte sie leise.

„WAS?“ Ich sprang auf. „Aber … aber warum das denn? Ich kann doch mit Papa fahren. Nur weil du keine Zeit hast, muss …“

„Fritzi, bitte setz dich wieder hin“, fiel Mama mir ins Wort.

Ich wollte aber nicht. Baute mich mit verschränkten Armen vor dem Tisch auf und schob trotzig die Unterlippe vor.

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„Ich stehe lieber!“, schnauzte ich.

Mama zog die Augenbrauen zusammen. Das machte sie immer, wenn ihr etwas nicht gefiel. Aber mir doch egal! Was redete sie auch so ein blödsinniges Zeugs daher?! Nur weil sie arbeiten wollte, hieß das nicht, dass Papa und ich zu Hause hocken mussten.

„Mäuschen, Papa hat die Möglichkeit, an so einem wahnsinnig wichtigen Seminar in Sachen Implantate teilzunehmen. Da konnte er nicht ablehnen. Das verstehst du doch?!“

Nein, das kapierte ich nicht! Kein bisschen, schoss es mir bitterböse durch den Kopf.

„Dann fahre ich eben allein!“, fauchte ich sie mit giftigem Blick an.

Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass Mama nun richtig sauer werden würde. Stattdessen seufzte sie betrübt. „Daran hatten Papa und ich auch schon gedacht. Aber leider gibt es auf dem Grevelinghof keine Kinderbetreuung.“

„Mich braucht niemand zu betreuen“, erwiderte ich noch patziger. „Zu Hause werde ich ja auch nicht betreut.“

Mama zuckte zusammen. Jetzt war ich wohl zu weit gegangen. Jedenfalls hörte sich ihre Stimme höllisch streng an. „Fritzi, ich verstehe deinen Kummer. Trotzdem wirst du bitte nicht frech, ja?!“

Ich grummelte eine halbherzige Entschuldigung vor mich hin, mit der sich Mama überraschenderweise zufriedengab.

„Ach, Mäuschen“, säuselte sie nun wieder ganz kleinlaut und erhob sich, „deinem Papa und mir tut es wirklich, wirklich leid. Aber ich verspreche dir, dass wir in den Sommerferien den geplatzten Urlaub nachholen. Großes Familienehrenwort!“

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Nö, das war echt zu viel. Empört schnappte ich nach Luft und wich einen Schritt zurück, als sie mich in den Arm nehmen wollte.

„Dieses blöde Ehrenwort taugt doch nicht die Bohne!“, ranzte ich sie an.

Damit stürmte ich aus der Küche, stolperte die Treppe hinauf in mein Zimmer und schmiss mich der Länge nach aufs Bett, wo ich vor Wut und Enttäuschung in mein Kopfkissen heulte.

Unzählige treue Pferdeaugen sahen mir von den Postern an meinen Zimmerwänden dabei zu.

2. Kapitel

Auf dem Kronsberghof herrschte wie immer ein lebhaftes Durcheinander. Umringt von der Donnerstagsgruppe, stand unsere Reitlehrerin Nele neben dem Paddock und fuhr sich nachdenklich durch die kurzen blonden Haare.

„Wir müssen heute etwas umplanen. Goliath geht hinten rechts unklar. Den möchte ich in der Box lassen, bis der Tierarzt ihn sich angeschaut hat. Sicher ist sicher. Chiara, du kannst dann heute Lotta reiten.“

Ich seufzte. Schade, die dunkelbraune Deutsche Reitponystute hätte ich auch gern geritten.

Doch als Nele mir im nächsten Moment Charmeur zuteilte, konnte ich mein Glück kaum fassen. Der edle Hannoveraner Wallach gehörte Nele und ging nur ganz selten im Unterricht mit. Im letzten Jahr hatte ich ihn schon mal reiten dürfen. Danach hatte ich tagelang wie auf Wolken geschwebt, weil es so grandios gewesen war.

„Ja, klar … ähm … total … gerne“, stammelte ich aufgeregt.

„Fritzi, ganz ruhig“, lachte Nele. „Atme. Alles ist gut.“

Das stimmte! Sobald ich nur einen Schritt auf Neles und Mathis’ Hof setzte, schien die Zeit stillzustehen. Umgeben von Pferden und Leuten, die ebenso pferdeverrückt waren wie ich, fühlte ich mich einfach pudelwohl. Jeder Ärger über knalldoofe Mathelehrer und Eltern, die mal wieder keine Zeit für mich hatten, war wie weggefegt. Auf den Kronsberghof war Verlass – immer.

„Charmeur steht hinter der Halle auf dem Paddock. Wo du seinen Sattel, die Trense und Gamaschen findest, weißt du, oder?“

Ich beeilte mich zu nicken. Und dann noch mehr, um zum Paddock zu kommen, auf dem außer Charmeur auch Mathis’ Hannoveraner Wallache Fly und Calli standen.

Während ich Charmeurs Halfter samt Führstrick vom Holzhaken neben dem Gatter nahm, begann mein Herz vor Aufregung wild zu bummern. Vorsichtig kletterte ich unter dem Lattenzaun durch.

„Hallo, Charmeur, du Schöner.“ Ich klopfte ihm den seidig glänzenden Hals. „Heute darf ich dich reiten.“

Der Rappe beäugte mich neugierig und fing sofort an, meine Jackentaschen nach Pferdeleckerlis zu durchsuchen.

„Hey“, lachte ich. „Du weißt doch, was dein Frauchen Nele immer sagt: Erst die Arbeit und dann gibt’s ein Leckerli.“

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Ich klopfte ihm noch einmal den Hals und führte ihn dann am Strick zum Gatter. Fly und Calli folgten uns einige Schritte, blieben aber zu meiner großen Erleichterung kurz vorm Tor stehen.

Nichts war anstrengender, als mit einem Pferd vom Paddock herunterzukommen, wenn zwei andere mitwollten, es aber nicht sollten. Das hatte ich schon ein paarmal drüben bei den Schulpferden erlebt und von denen war keines auch nur annähernd so groß wie die beiden hier.

Charmeurs Hufeisen klackerten über den Hof, als ich ihn zur Putzstelle führte. Das wunderbarste Geräusch der Welt, fand ich – neben Wiehern, Schnauben und allen anderen Geräuschen, die etwas mit Pferden zu tun hatten. Keine noch so schöne Musik konnte das hier toppen.

Ich holte Charmeurs Putzkasten aus der Sattelkammer und begann, ihn vom Hals an mit kreisenden Bewegungen nach hinten vorarbeitend zu striegeln. Anschließend glättete ich sein Fell mit der Kardätsche, und als sich nicht ein Staubkörnchen mehr aus dem Striegel klopfen ließ, machte ich mich daran, Charmeurs Schopf und Mähne zu kämmen. Ganz zum Schluss kam noch der Schweif an die Reihe, den ich so lange bürstete, bis er weich und seidig herabfiel. Jetzt noch Hufe auskratzen, dann legte ich Charmeur erst vorn und anschließend an den hinteren Beinen Gamaschen an.

Das Satteln bereitete mir wegen seiner Größe etwas Mühe – um ehrlich zu sein, ich rackerte mich ziemlich ab.

Doch da kam Nele um die Ecke und grinste mich an. „Ätzend, so große Pferde, nicht wahr?!“ Sie zwinkerte mir zu. „Ein Endmaßpony reicht doch eigentlich vollkommen aus. Keine Ahnung, wer solche Riesen erfunden hat.“

Obwohl Nele auch nicht gerade groß war, gelang es ihr ganz einfach, den schwarzen Kieffer Vielseitigkeitssattel samt blauer Eskadron Schabracke auf Charmeurs Rücken zu schwingen und alles in die richtige Position zu rücken.

„Danke“, sagte ich und machte mich daran, den Sattelgurt zu befestigen.

Ich war schon erleichtert, dass Nele nun neben mir stand. Natürlich freute ich mich total darauf, Charmeur gleich zu reiten. Allein ihn putzen und satteln zu dürfen, war ein echtes Highlight. Aber ein kleines bisschen Angst, etwas falsch zu machen, schwang immer mit.

Neles wertvolles Turnierpferd – nicht auszudenken, wenn ich etwas machen würde, das ihm irgendwie schadete.

Obwohl, eigentlich waren für mich alle Pferde gleich wertvoll. Ob nun der kleine Shettywallach Oskar oder unser Stallsenior Gregor mit seinen einunddreißig Jahren.

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„Wir reiten heute draußen auf dem Platz“, sagte Nele und mein Herz machte gleich noch einen Luftsprung vor Freude.

Auf dem Außenplatz zu reiten, war nur noch durch einen Ausritt zu toppen.

„Ich geh schon mal wieder rüber und schau nach den anderen. Auftrensen schaffst du allein?“

Ich nickte. „Ja klar. Kein Problem. Ich meine, logo“, überschlug sich meine Stimme schon wieder. Langsam musste ich meine Aufregung in den Griff bekommen, sonst würde sie am Ende noch auf Charmeur übergehen und das wäre überhaupt nicht gut.

Drüben auf dem Platz hatten sich schon alle versammelt und ritten im Schritt durch die Bahn.

Eric rief mir vom Rücken seines Pferdes grinsend zu: „Sag mal, hast du ihm noch Schweif und Mähne gewaschen oder warum hat das sooo lange gedauert?“

Ich schnitt eine Grimasse in seine Richtung. Eric hatte immer einen Spruch parat. Manche waren kein bisschen lustig, aber meistens verstanden wir uns richtig gut.

Als Junge war er auf dem Hof fast schon ein Unikat, denn außer ihm und Mathis gab es hier nur noch Torben, der in der Dienstagsgruppe ritt, und Stallbursche Claus, der Nele und Mathis auf dem Hof half.

Ich musste jedes Mal grinsen, wenn Claus sich selbst als Stallbursche bezeichnete, denn er war mindestens sechzig Jahre alt, ziemlich klein und enorm rund. Irgendwie hatte ich mir einen Stallburschen immer anders vorgestellt.

Ich führte Charmeur in die Mitte der Bahn, überprüfte noch einmal die Steigbügellänge und gurtete nach. Dann schwang ich mich in den Sattel. Trotz Aufsteighilfe bereitete mir das wegen seiner Größe ein bisschen Mühe. Aber ich schaffte es.

Nele verkündete gerade einen Handwechsel. Nun ritten alle rechtsherum und nach einigen Runden gab sie die Abteilung bekannt. Das Schlusslicht sollte Franziska auf dem Welsh-Cop-Schimmel Sandro bilden. Vor den beiden ritten Chiara auf Lotta, Maike auf der Haflingerstute Sandy, Eric auf seinem eigenen Pferd Bronco und Kim auf dem Deutschen Reitpony-Fuchs Leo. Den Platz an der Tete sollten Charmeur und ich einnehmen.

Kaum dass wir uns in richtiger Reihenfolge zusammengefunden hatten, rief Nele: „Abteilung scheeeritt, ganze Bahn.“

Nach einigen Hufschlagfiguren im Schritt durften wir schließlich antraben. Charmeur reagierte auf die kleinste Hilfe und hatte einen so wunderbar weichen Trab, dass ich für einen Moment alles um mich herum vergaß. Auch Neles Anweisungen.

„Fritzi? Fritzi? Friederike, hallo, hörst du mich?“

„Ähm … ja“, stammelte ich und merkte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss.

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Nele grinste. „Dann wäre es schön, wenn du deine Abteilung durch die Länge der Bahn wechseln lassen würdest. Das wünsche ich mir nämlich schon eine ganze Weile von dir.“

Hinter mir hörte ich Eric spöttisch rufen: „Erde an Fritzi! Erde an Fritzi! Bist du noch bei uns?“

Alle lachten. Ich drehte mich leicht im Sattel um und streckte Eric grinsend die Zunge raus.

Die Reitstunde verging viel zu schnell, und wieder einmal wunderte ich mich, dass mir 45 Minuten Matheunterricht wie ein Jahr vorkamen und eine genauso lange Reitstunde wie im Flug verging.

Als wir abstiegen und unsere Pferde vom Reitplatz führten, kam Nele zu mir. „Das hat ja wirklich gut geklappt mit Charmeur und dir. Ich bin echt stolz auf dich, Fritzi, du hast dich ganz toll entwickelt.“

Ich strahlte sie an. Bestimmt total übertrieben, aber gerade kam es mir vor, als ob ich die ganze Welt umarmen könnte. Erst durfte ich dieses Traumpferd reiten und dann bekam ich auch noch so ein Lob aus Neles Mund! Hach, das Leben konnte wirklich fantastisch sein.

Während die anderen ihre Pferde zum Putzplatz vorn bei den Paddocks führten, ging ich mit Charmeur wieder um die Reithalle herum, um ihn dort abzusatteln.

Ich kratzte ihm die Hufe aus, rieb mit einem weichen Lappen über sein leicht feuchtes Fell und gab ihm schließlich das versprochene Leckerli. Dabei erzählte ich ihm ununterbrochen, wie toll und schön er war, und klopfte ihm immer wieder seinen dunklen Hals. Bevor ich Charmeur zum Paddock zurückbrachte, legte ich für einen Moment meine Wange an seinen Hals und kraulte ihm die breite Pferdebrust.

„Danke für die schöne Reitstunde, Charmeur“, flüsterte ich in sein warmes Fell. Es fiel mir wirklich schwer, mich von ihm zu lösen. Zumal mir gerade wieder siedend heiß eingefallen war, dass heute für lange, lange Zeit meine letzte Reitstunde gewesen war. Ich hatte mich für die kompletten Osterferien vom Unterricht abgemeldet, weil ich dachte, dass ich mit meinen Eltern auf Föhr sein würde.

Dachte!

Mist, hoffentlich hatte Nele meinen Reitplatz nicht schon vergeben. Gerade in den Ferien kam das häufig vor. Ich musste sie gleich fragen, nahm ich mir vor.

Aber zuerst musste ich Charmeur auf den Paddock zurückbringen, wo er wiehernd von Fly und Calli begrüßt wurde.

Kaum hatte ich ihm das Halfter abgenommen, begann er, sich auf der Stelle zu drehen, und ließ sich dann mit einem tiefen Pferdeseufzer zu Boden sinken, um sich ausgiebig zu wälzen. Als er wieder auf die Beine kam, war er vom Schopf bis zum Schweif mit einer hellen Staubschicht bedeckt. Er schüttelte sich und gesellte sich dann zu den beiden anderen an die Heuraufe.

„Hey, Fritzi, hast ’ne super Figur auf Charmeur gemacht“, hörte ich da Chiaras Stimme hinter mir. „Ich würde mich ja nie trauen, auf ihm zu reiten.“ Sie grinste mich mit geröteten Wangen an.

„Er ist einfach nur toll“, schwärmte ich. „Ich wünschte, er würde mir gehören.“

Chiara lachte. „Tja, wer möchte kein eigenes Pferd besitzen?! Wobei mir ja so ein Norwegerkumpel wie Goliath lieber wäre.“

Sie hakte mich unter, und zusammen gingen wir nach vorn zu den anderen, die sich wie jeden Donnerstag nach der Reitstunde in dem kleinen Aufenthaltsraum zusammengefunden hatten.

Die nächste Stunde verbrachten wir damit, uns über Pferde, das Reiten und die hinter uns liegende Unterrichtsstunde zu unterhalten. Dabei plapperten wir wild durcheinander, lachten und hatten richtig viel Spaß.

Eric war der Erste, der aufbrach, und ich schloss mich ihm an, weil zu Hause diese blöde, blöde Matheberichtigung auf mich wartete.

Wir schlenderten zu unseren Rädern, winkten Nele zu, die auf dem Reitplatz gerade einem kleineren Kind eine Reitstunde an der Longe erteilte, und warfen noch einen kurzen Blick in die Reithalle.

Bei den Rädern verabschiedete sich Eric schließlich mit: „Bis in drei Wochen dann. Viel Spaß auf Föhr.“

Föhr! Verdammt. Jetzt hatte ich Nele doch nicht gefragt.

„Ja, mach’s gut, Eric“, winkte ich ihm flüchtig zu und rannte zum Reitplatz zurück.

Nele war zum Glück gerade mit der Longierstunde fertig, sodass ich sie gleich fragen konnte.

„Das tut mir wirklich leid, Fritzi“, sagte sie kopfschüttelnd. „Vorgestern habe ich deinen Platz für die nächsten drei Wochen an Tabea aus der Dienstagsgruppe vergeben, weil sie in den Ferien gern zweimal die Woche Unterricht nehmen möchte.“

„Mist“, fluchte ich enttäuscht.

„Aber wolltest du denn nicht mit deinen Eltern zu diesem Reiterhof auf Föhr fahren?“

„Wollte“, murmelte ich bitter, „aber meine Eltern haben mal wieder zu tun.“

3. Kapitel

Ich staunte nicht schlecht, als ich Papas silbernen Mercedes in der Einfahrt entdeckte. Am Donnerstag war immer lange Sprechstunde. Vor neun kam er nie nach Hause.

Ich lehnte mein Rad gegen den Carportpfosten, obwohl ich das eigentlich nicht sollte. Aber mir doch egal. Die Reitstiefel zog ich auch nicht aus. Ich klopfte sie noch nicht einmal auf der Fußmatte ab, sondern schloss gleich die Haustür auf und stampfte in den Flur.

„Fritzi? Bist du es?“, hörte ich Mama vom Wohnzimmer aus rufen.

Ich antwortete nicht. Außerdem, wer sollte es denn sonst sein?! Soweit ich wusste, hatten nur meine Eltern und ich einen Haustürschlüssel.

Ich wollte gerade die ersten Stufen hochpoltern, da kam Mama in den Flur. „Schatz? Hast du mich nicht rufen gehört?“

Widerwillig blieb ich stehen, drehte mich aber nicht um, sondern hob nur gleichgültig die Schultern. „Nö!“, log ich.

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„Fritzi“, seufzte sie, „du bist noch immer wütend auf uns, was?“

Hallo? Was war das denn für eine Frage?! Natürlich war ich noch immer wütend. Und zwar fuchsteufelswildwütend!

„Papa ist extra früher nach Hause gekommen, weil wir in Ruhe mit dir darüber reden wollten.“

Toll! Und was soll das bringen?, dachte ich.

„Wir haben uns nämlich etwas überlegt und sind dann auch gleich aktiv geworden.“

Aktiv geworden – wie sich das schon wieder anhörte.

„Aber ich habe eigentlich keine Lust, noch länger gegen deinen Rücken zu sprechen, Friederike. Bist du bitte so lieb und kommst einmal zu uns ins Wohnzimmer?“

Das war zwar eine Bitte, aber wenn Mama mich Friederike nannte, war Widerstand zwecklos.

Ich seufzte genervt und trottete dann zur Wohnzimmertür. Doch auf der Schwelle hielt Mama mich zurück. „Nicht mit den Stiefeln!“

„Is ja schon gut“, maulte ich und zog sie mir im Zeitlupentempo aus.

Papa saß am Tisch vor seinem Laptop und schaute nicht mal auf, als ich eintrat. Pah, von wegen meinetwegen früher nach Hause gekommen!

„Einen Moment noch, Fritzi“, murmelte er gedankenverloren.

Ich schnaubte. Und wollte wieder gehen. Garantiert! Doch in diesen Moment begann der Drucker, leise zu summen. Keine fünf Sekunden später hielt Papa mir den Ausdruck entgegen.

„Tra-ra, darf ich vorstellen, die Eagle-Free-Ranch!“, grinste er begeistert.

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Ich starrte auf das Blatt Papier in seinen Händen.

„War gar nicht einfach, so kurzfristig noch einen Platz zu bekommen“, erklärte Mama, während sie mir die Hand auf die Schulter legte.

„Wie jetzt …?“, murmelte ich.

„Also, ein bisschen mehr Begeisterung hätte ich schon erwartet“, beschwerte sich Papa.

Verständnislos schüttelte ich den Kopf. „Fahren wir in den Sommerferien dorthin, oder was?“

„Unsinn!“, zwitscherte Mama vergnügt. „Du fährst allein, und zwar nächsten Freitag. Für zwei Wochen. Freust du dich?“

„Aber … aber … wo ist das denn? In Amerika?“ Ich war echt baff.

Mama und Papa lachten. „Quatsch. Wie kommst du denn darauf?“, amüsierte sich Papa.

„Na, weil der Mann aussieht wie ein Cowboy und sein Pferd einen Westernsattel trägt“, erwiderte ich verdattert.

„Stimmt, weil es sich bei der Eagle-Free-Ranch um eine Westernreitanlage handelt“, erklärte Mama. „Aber dafür musst du nicht nach Amerika fliegen, Schätzchen. Wir fahren dich mit dem Auto dorthin. Keine drei Stunden und schon sind wir in Staken.“

„Staken? Westernreitanlage?“, murmelte ich. „Was soll ich denn da?“

„Na, reiten!“, riefen Mama und Papa wie aus einem Mund.

4. Kapitel

Die Fahrt kam mir wie eine Ewigkeit vor. Als Papa endlich sagte, dass es jetzt nur noch wenige Kilometer bis zur Eagle-Free-Ranch wären, begann es in meinem Bauch doch ein wenig zu kribbeln.

Eigentlich wollte ich nicht dorthin. Was sollte ich auf einer Westernranch? Ich hatte noch nie in einem Westernsattel gesessen und so sollte es auch bleiben!

Doch Mama und Papa waren nicht davon abzubringen. Egal, was ich in den letzten Tagen auch gesagt hatte, ihr Entschluss stand fest.

Jetzt fuhren wir eine schmale Landstraße entlang. Hin und wieder kamen wir an größeren Höfen vorbei, ansonsten war hier nichts – kein Supermarkt, kein Getränkehandel, kein Bäcker oder sonst irgendein Geschäft …

Schöne Bescherung, wie sollte ich es in dieser Einöde nur zwei Wochen lang aushalten? Und dann noch bei den Westernreitern – als ob ich dazu Lust hätte. Ich meine, ich war Englischreiterin. Lasso werfen und wild gewordene Kühe einfangen wollte ich bestimmt nicht. Und falls Mama und Papa wirklich dachten, dass ich diese albernen Westernreitstiefel und den lächerlichen Hut auch nur eine Sekunde tragen würde, hatten sie sich geschnitten. Garantiert!

Nach zwei weiteren Höfen sagte Papa schließlich: „Da muss es sein“, und setzte auch schon den Blinker. Er lenkte den Wagen durch einen hohen hölzernen Torbogen, an dem ganz oben ein großes Schild baumelte.

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Na super, jetzt gab es wirklich kein Zurück mehr. Ich musste meine Ferien bei den Westernjucklern verbringen.

Der Parkplatz befand sich an der Rückseite einer kleineren Halle, und als wir ausstiegen, fiel mein Blick gleich auf eine Art Bodentrainings-Parcours. Auch wenn ich nicht wollte – garantiert nicht! –, begann mein Herz etwas schneller zu klopfen, als ich weiter rechts eine Reihe von Paddocks entdeckte, auf denen sich einige Pferde befanden.

Ganz vorn stand ein bildschönes pechschwarzes Pferd ganz allein auf dem Auslauf. Mein Gott, so ein wundervolles Tier hatte ich noch nie zuvor gesehen. Es war nicht besonders groß, jedenfalls im Verhältnis zu Neles und Mathis’ edlen Hannoveranern, aber es strahlte so viel Eleganz und Stolz aus, dass ich meinen Blick einfach nicht mehr von ihm abwenden konnte.

„Hach, endlich sieht sie mal wieder begeistert aus“, juxte Papa. „Ich dachte schon, das wird nichts mehr mit unserem Fräulein Tochter.“

Mama war schon dabei, den Kofferraum zu öffnen, und zog meine Reisetasche aus dem Auto.

„Das ist ja traumhaft schön hier“, meinte sie dann und trat neben mich. Behutsam legte sie mir den rechten Arm um die Schulter. „Findest du das nicht auch, Fritzi?“

Ich wollte nicht mit ihr reden. Und mit Papa auch nicht. Dennoch hörte ich mich krächzen: „So ein schönes Pferd habe ich noch nie gesehen …“

Hinter den Paddocks lag ein großer Reitplatz, der ringsum von einem halbhohen Holzgatter umgeben war. Ich entdeckte fünf Reiter: allesamt in Westernsätteln, doch nur einer von ihnen hatte so einen albernen Cowboyhut auf, wie Mama ihn mir extra für die Eagle-Free-Ranch gekauft hatte. Die beiden anderen trugen Käppis.

Ich konnte nichts dagegen tun – auch wenn ich wirklich, wirklich nicht wollte –, plötzlich verspürte ich so etwas wie Vorfreude. Die Anlage war absolut traumhaft. Hinter den Paddocks und dem Reitplatz erstreckten sich die Weiden, in einer Weitläufigkeit, wie ich es nie zuvor gesehen hatte.

Zum Kronsberghof gehörten auch schöne Koppeln, und bisher hatte ich immer gedacht, die wären schon recht groß. Aber das hier übertraf einfach alles, was ich bisher gesehen hatte. Ich fühlte mich in eine andere Welt hineinversetzt. Eine echte Westernranch in Amerika konnte bestimmt nicht beeindruckender sein, schoss es mir durch den Kopf.

„Ach hallo, Sie sind doch bestimmt die Familie Ludwig?!“

Eine blondhaarige Frau in Jeans und hellem T-Shirt kam lächelnd auf uns zu. „Herzlich willkommen auf der Eagle-Free-Ranch.“

Sie tauschte ein paar Begrüßungssätze mit meinen Eltern aus und streckte dann mir ihre Hand entgegen. Ihr Griff fühlte sich warm und fest an. Irgendwie vertrauenerweckend. „Hallo, Friederike, ich bin Katharina Reinke. Du kannst mich aber Kata nennen. Meiner Familie gehört die Eagle-Free-Ranch, und wir freuen uns sehr, dass du deine Osterferien bei uns verbringen möchtest.“

„Fritzi“, murmelte ich und merkte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss. Mist!

Ihr Lächeln wurde noch eine Spur herzlicher. „Okay, Fritzi. Du wirst übrigens sehnsüchtig erwartet.“

„Oh, wie schön“, freute sich Mama, als ob es gerade um sie gegangen wäre. „Von wem denn?“

„Von meiner Enkelin Juliane. Ihr ist Julie übrigens auch lieber. Dann sind wir ja schon zu dritt mit den Spitznamen.“ Sie lachte fröhlich auf, und ich dachte in diesem Moment, dass Kata unmöglich Oma sein konnte. Ununmöglich. Dazu war sie noch viel zu jung. Und wenn schon, dann war diese Julie allenfalls zwei oder drei Jahre alt.

Das wurde echt immer besser! Jetzt durfte ich meine Ferien auch noch als Babysitter verbringen. Wahrscheinlich hatten Mama und Papa nur deshalb so kurzfristig einen Ferienplatz für mich bekommen: Ich sollte auf das nervige Enkelkind aufpassen.