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Bereits erschienen:

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Band 2
eISBN 978-3-649-63368-6

eISBN 978-3-649-63367-9

© 2019 der neu illustrierten Ausgabe: Coppenrath Verlag
GmbH & Co. KG, Hafenweg 30, 48155 Münster
Alle Rechte vorbehalten, auch auszugsweise
© 2007 der Originalausgabe:
Coppenrath Verlag GmbH & Co. KG Text: Sarah Bosse
Illustrationen: Cathy Ionescu
Lektorat: Jutta Knollmann
Satz: FSM Premedia GmbH & Co. KG

www.coppenrath.de

Das Buch erscheint unter der ISBN 978-3-649-62721-0.

Sarah Bosse

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Du schaffst
das, Anna

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Mit Illustrationen von
Cathy Ionescu

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Inhalt

Aller Anfang ist komisch

Die Ponys kommen

Gestörte Idylle

Oder war da noch etwas anderes

Übles Gerede

Besuch im Mühlental

Der Herbst kommt ins Tal

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Da war es wieder. Anna spürte ganz deutlich dieses merkwürdige Kribbeln im Bauch. Wenn sie das Robert, ihrem älteren Bruder, anvertrauen würde, hätte der sicher nur ein spöttisches Grinsen für sie übrig. Vielleicht spürt Robert das Kribbeln ebenso, dachte Anna, schließlich ist für ihn auch alles neu. Aber das würde er natürlich niemals zugeben. Jungs in dem Alter sind so. Die sind immer einfach nur abgebrüht und cool. Außerdem hatte Robert sowieso nur seine Musik im Kopf. Was kümmerte ihn da, was um ihn herum geschah?

Klar, den Hof im Mühlental kannte Anna schon lange, denn er gehörte früher Mamas Bruder Martin, dem Maler, dem es im Münsterland zu kalt war. Deshalb hatte er seiner Schwester den elterlichen Hof vor einigen Monaten überlassen und war nach Gran Canaria gezogen, um dort Bilder mit viel Sonne drin zu malen.

Schon bei ihren früheren Besuchen hatten Anna und Robert jeden Winkel des Gehöfts erkundet. Hier kannten sie sich gut aus. Aber jetzt selbst auf diesem Hof zu leben, das war etwas ganz anderes! Auch wenn Anna mit ihrer Familie bereits seit zwei Wochen hier wohnte, war doch immer noch alles rund um sie herum neu, vor allem die Gerüche und die Geräusche. Daher das Kribbeln.

Doch wenn Anna ganz ehrlich zu sich selbst war, dann gab es heute noch einen anderen Grund dafür, dass das Kribbeln wieder stärker wurde. Der Grund hieß Luisa.

Luisas Mutter Adelheid war Tierärztin und eine gute Freundin von Annas Mutter Isabel. Als Annas Familie sich entschloss, den Hof im Mühlental zu übernehmen, war die Idee gewachsen, den alten Kornspeicher zu renovieren. Adelheid wollte dort eine Tierarztpraxis eröffnen.

Nun war es so weit. Das Werk war vollbracht. Das alte Backsteinhaus mit seiner Fachwerkfassade erstrahlte in neuem Glanz. Mit dem Haupthaus, den Stallungen und der alten Scheune, die nun zur Reithalle umfunktioniert worden war, schmiegte es sich zwischen die sanften Hügel der Baumberge.

Heute würde Adelheid einziehen und mit ihr Luisa.

Anna und Luisa hatten sich früher einige Male gesehen. Anna musste zugeben, dass sie sich gut verstanden hatten, und deshalb freute sie sich zuerst auch darüber, dass Luisa in den Speicher einziehen würde. Doch jetzt, da der Tag gekommen war, beschlich sie ein sonderbares Gefühl. Sie würden zusammen auf einem Hof leben, und das bedeutete, dass sie zukünftig viel Zeit miteinander verbrachten. Wer wusste schon, ob sie sich auch dann noch gut verstanden, wenn sie sich ständig sahen? Anna war sich nicht im Klaren, ob sie sich freuen oder fürchten sollte. Vielleicht tat sie beides zugleich.

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Als der große Umzugstransporter die abschüssige Zufahrt ins Mühlental herabgerumpelt kam, verschwand Anna im Haus. Lieber wollte sie sich erst einmal alles aus der Ferne angucken.

Die Seitenwände des Lkws streiften die Bäume, die rechts und links des Weges wuchsen, und Blätter flogen wild durch die Luft. Auch ein dunkelbraunes Huhn, das am Wegesrand nach Würmern gepickt hatte, flatterte aufgeregt davon.

Wie ein Wirbelwind kommt sie in unser Tal gesaust, dachte Anna und wartete auf den Moment, da Luisa aus dem Kombi steigen würde, der dem Lastwagen vorausfuhr.

Ihre Eltern standen natürlich längst im Hof, um Adelheid und ihre Tochter zu begrüßen. Auch Robert hatte sich breitschlagen lassen, seine Gitarre wegzulegen und beim Möbelschleppen zu helfen. Die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, stand er etwas gelangweilt neben seinen Eltern.

Inzwischen wurde das Kribbeln beinahe unerträglich.

Anna zwirbelte sich nervös den Gardinenzipfel um den Finger, als Luisa endlich aus dem Wagen sprang und den Eltern fröhlich entgegenhüpfte. Sie redeten kurz miteinander, dann zeigte Annas Mutter zum Haus. Bestimmt hatte Luisa nach ihr gefragt!

Kribbeln hin, Kribbeln her, jetzt muss ich rausgehen!, schoss es Anna durch den Kopf. Bevor sie aus der Haustür trat, holte sie noch einmal tief Luft.

„Da ist sie ja!“, hörte sie ihre Mutter sagen und bemerkte, wie alle zu ihr hinübersahen. Jetzt fühlte sich das Kribbeln an wie das Rattern eines Presslufthammers. Möglichst lässig versuchte Anna, die drei Stufen zum Hof hinunterzuschlendern, und stolperte prompt über Fridolin. Der schwarze Kater kreischte kurz auf und suchte dann mit einem Riesensatz das Weite.

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Anna spürte, wie ihr das Blut in den Kopf stieg. Was für ein saublöder Start! Hauptsache, sie lachen mich jetzt nicht aus!

Plötzlich stand Luisa neben ihr und reichte ihr die Hand, um ihr auf die Füße zu helfen. „Na, das war aber nicht nötig, dass du vor mir auf die Knie fällst“, sagte sie und grinste breit. „Ein einfaches ‚Hallo, Luisa’ hätte auch genügt. Du hast dir doch nicht wehgetan?“

Anna klopfte sich mit beiden Händen den Staub von den Jeans. „Nix passiert. Die Hose ist auch noch heil. Hoffentlich hat Fridolin nichts abgekriegt.“

Luisa winkte ab. „Mach dir mal um den keine Sorgen. Katzen sind hart im Nehmen.“

Anna zuckte die Schultern. „Ich hab ihn sowieso im Verdacht, dass er mir manchmal absichtlich in den Weg läuft, um mich zu ärgern.“

Luisa lachte. „Siehst du, dann ist er selber schuld.“

„Anna, Luisa, kommt, es geht los!“, rief Rolf, Annas Vater. „Wir wollen doch heute fertig werden!“

Luisa verdrehte die Augen. „Dass die Erwachsenen immer solch einen Stress machen müssen! Hilfst du mir, mein Zimmer einzuräumen?“

„Klar!“, rief Anna.

„Aber zuerst musst du mir dein Pony zeigen“, sagte Luisa. „Ich bin so gespannt.“

Anna seufzte. „Wenn ich das könnte, dann wäre ich echt froh.“

Luisa zog erstaunt die Augenbrauen hoch. „Wie meinst du das?“

„Fee kommt erst am Wochenende zusammen mit Mamas Digger und zwei anderen Pferden“, erklärte Anna. Es war ihr anzusehen, wie traurig sie darüber war, dass ihre Stute noch nicht bei ihr sein konnte.

„Aber warum?“, hakte Luisa nach. „Ihr seid doch schon eine Weile hier.“

Anna nickte. „Zwei Wochen, um genau zu sein. Aber die Weidezäune mussten erneuert werden – mein Onkel hat in all den Jahren, in denen er hier allein gelebt hat, nichts dran gemacht – und in den Ställen war auch noch einiges zu tun. Außerdem meinte Mama, es sei besser, die Pferde kommen erst, wenn im Haus alles so weit klar Schiff ist, damit wir genug Zeit haben, uns um die Tiere zu kümmern. Also bleiben sie eben noch ein Weilchen im alten Reitstall, dem Waldhof.“

„Dort, wo deine Mum auch Reitstunden gegeben hat?“ Luisa zuckte die Schultern. „Wie schade. Ich hatte so gehofft, wir könnten heute schon ein bisschen reiten.“

Anna grinste. „Ich glaube, da wären die Erwachsenen ziemlich sauer, wenn wir uns verkrümeln würden und ihnen die Arbeit überließen. Schau, wie sie uns ansehen, nur weil sie schon schuften und wir noch quatschen.“

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Also stiefelten die beiden Mädchen über den Hof auf den Umzugswagen zu.

Luisa war ein kleines bisschen größer als Anna und hatte dieselbe schlanke, aber kräftige Figur wie ihre Mutter.

Wie es sich für eine Tierärztin gehört, dachte Anna und schmunzelte dabei über sich selbst. Luisa hatte ihre dunkelblonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, der bei jedem Schritt lustig auf dem Rücken wippte.